Schützen ohne Absperrband

Es ist ein absurd warmes Wochenende im Februar. Die Sonne strahlt nach kalten Nächten, es knistert verheißungsvoll in den Knospen und ich bade in Vorfrühlingswonne.

 

Diese Wonne teile ich mit einer frisch zusammengestolperten Gruppe netter Menschen im Ökodorf Sieben Linden, die sich hier zum ersten Teil unserer gemeinsamen Permakulturfortbildung eingefunden haben.

 

Einem ersten Nachmittag folgt ein erster Morgen und wir sollen uns zu einem Morgenkreis auf einer einladenden Wiese im „Dorfzentrum“ zusammenfinden. Ich bin eine der Ersten und suche den Boden beiläufig mit den Augen ab. Da! Da sind sie – die ersten Krokusse schieben sich schüchtern gen Himmel. Ihre Blütenköpfe noch fest verschlossen, verschmelzen sie mit der Wiese. Oh man! Gleich wollen viele Trampelbeine genau hier ihren Morgenkreis machen. Das wird’s dann wohl gewesen sein mit dem jungen Krokusleben. Ich ringe mit mir: Wie könnte ich möglichst beiläufig, diese Pflänzchen schützen, ohne mich in der neuen Runde gleich als Krokussretterin aufzuspielen? Und wenn ich einfach wegkucke und an was anderes denke? Ach nö, das kann ich nicht! Also stelle ich mich breitbeinig über die jungen Pflanzen und versuche meine Mitmenschen möglichst dezent vorbeizunavigieren.

Soweit so gut.

 

Der zweite Morgen: Natürlich treffen wir uns bei diesem berauschenden Wetter wieder auf der Wiese. Natürlich stehen die Krokusse noch immer unauffällig und zerbrechlich im Weg.

Und natürlich sind es über Nacht noch mehr geworden.

 

Ich müsste mich heute als lebendiger Zaun quer über die Wiese legen. Jetzt könnte es albern werden. Vielleicht schiessen ja hier demnächst weitere 100 Krokusse aus dem Boden. Aber einfach platttrampeln?

Mein Blick bleibt an einem Haufen kleiner Steine hängen. Kinder seid dank! Noch sind die Anderen nicht da. Ich lege neben jedem Pflänzchen eine paar Steine ab. Ich markiere sie und es macht mir kindische Freude. Als der Vorrat erschöpft ist, gebe ich die Sache ab. Ich lege meine selbsternannte Krokussverantwortung aus den Händen und begebe mich auf die gegenüberliegende Seite des Kreises.

Und siehe da: Füße stoppen, Augen kucken, es geht von Mund zu Ohr und es werden Bögen gemacht. Schließlich bilden wir ein sonnigen Kreis aus Menschen, Vogelgesang und geschlossenen Krokussen.

 

Ich bin beeindruckt. Mir geht dieses Gestaltungsprinzip „Locken statt blocken“ durch den Kopf. Schützen ohne Absperrband. Soetwas ist wohl gerade geschehen und die Geschichte könnte hier eigentlich zu Ende sein, aber dann kam ja noch ein bisschen Magie…..

 

Schweigende Grüppchen gestalten mit dem was sie finden einen Flecken Natur, unterstreichen seine Formen, lassen den Fluss der Dinge sichtbar werden.

Auf unserer Morgenkreiswiese ist ein Bild entstanden.

Wellen und Wogen, bunte Muster aus Naturmaterialien und in der Mitte einer jeden Welle steht ein Krokusspflänzchen wie eine Königin.

Die Geschichte hat sich verselbstständigt und was daraus geworden ist, ist so schön, dass ich verzaubert bin. Es sind diese riesigen, klitzekleinen Dinge, an denen ich mich satt trinken kann.

 

Und während wir so staunen und uns die Sonne kräftig über die Schulter scheint, da verwandeln sich die Krokusse. Als wäre das Bild sonst nicht vollständig, öffnen sie weit ihre gelben Blüten.

 

 

Maria Moos