Mein Wintertee aus dem Wald

 

Mein Wintertee aus dem Wald

oder

Die Welt vor unserer Nase

 

„Dort wo die Uhr nach dem Licht geht“ gibt es keinen Platz für ein Teeregal. Es gibt nur Platz für ein paar Gläschen aus der letzten Saison: Hopfen, Nelkenwurz und Orangenschalen. Den Rest sammle ich frisch in meine Teekanne.

Der Winter ist in dieser Hinsicht minimalistisch und fein. Hinter dem Garten beginnt ein typischer Kiefernmischwald und dort rankelt sich an einigen Stellen genüsslich der Efeu.

Dieses treue Geschöpf. Er ist einfach immer da. Im Sommer lebt er im wahrsten Sinne ein Schattendasein. Zwischen all dem üppigen Grün fällt er garnicht auf. Und auch im Winter wird er nicht überschwenglich. Er lockt weder mit Duft, noch mit Farbe und während im Herbst um ihn herum ein buntes Abschiedsfest tobt, wächst er unbeirrt weiter. Sind dann alle Bäume kahl und wird es still im Wald, dann ist er immer noch da. Sattgrün und voller Leben. Wie er das nur anstellt? Selbst wenn der Frost seine Blätter eisig ummantelt, hält er darunter noch Form und Farbe. Von seiner Standhaftigkeit und Beharrlichkeit kann ich mir wirklich was abkucken. In diesem Winter, da kommen wir so richtig ins Gespräch. Der Efeu ist als tiefes Hustenmittel gerade genau der Richtige für mich. Ich besuche ihn im Wald und zupfe mich vom Boden den Baumstamm hinauf, um mir ein paar Teeportionen zu sammeln.

Ich nehme noch ein paar Kiefernnadeln dazu, die mir aufdringlich am Kopf kitzelen und ein Zweiglein vom Bohnenkraut, das in diesem recht milden Winter unverwüstlich im Kräuterbeet grünt. Fertig ist heute mein Wintertee. Ich werde ihn mir aufbrühen und genüßlich schlürfen. Die Welt vor unserer Nase hält alles für uns bereit. Wir müssen nur lernen genau hinzuschauen…

 

Stella Maris