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Gomera 6, „Valle Gran Rey“

29.1. Gomera 6, „Valle Gran Rey“

Eine gute Woche ist herum. Das erste Mal habe ich die ganze Nacht durchgeschlafen, wurde nicht mehr geweckt von den Hähnen, die jeden Morgen um fünf pünktlich ihr Duett beginnen. Nicht von der Straßenlaterne, die durchs Fenster scheint, nicht vom Umdrehen und Anstoßen. Ich bin angekommen. Wir sind eingespielt in und mit unserer gemütlichen Wohnschnecke. Wenn es eng wird, tritt man einfach einen Schritt vor die Tür. Wenn wir abends vom Strand kommen ( Milan vom Fußball spielen und wir vom Musizieren) und es dunkel, kühl und windig ist, schlüpfen wir in unser Häuschen und setzten uns um den Tisch mit den großen bequemen Autositzen. Milan krabbelt irgendwann in die Koje und dann beginnt unsere geliebte Lesezeit. Timm Thaler und das verkaufte Lachen begleitet unsere Reise. Ich lese solange, bis Milan von oben ruft: „Ich schlaf jetzt ein“ und weil das Buch so spannend ist, sagen wir : „Och, ein bißchen noch!“ und wenn dann keine Antwort mehr kommt, legen wir das Buch seufzend weg.

Zwei Busse weiter wohnt Pari, ein waschechter 68iger Hippi. Er kam schon nach Gomera, da hatten wir noch Windeln an. Er, ursprünglich aus Dortmund, ist Vater und Opa. Gerade war seine Tochter mit Enkelkind zu Besuch. Er verbringt in seinem Bus regelmäßig die Wintermonate auf der Insel. Abends im Schein der Straßenlaternen, sitzen wir auf der Steinmauer und er erzählt wüste Geschichten aus seiner Vollblut 68iger Hippizeit, der er, wie er sagt und aussieht, immer noch ist.

Im Bus daneben wohnen Michael und Ines, auch ihre Kinder sind bereits groß. Sie reisen mit ihrem Gefährt durchs warme Europa und ihr Plan, für nach er Insel ist es, mit Fußmassage und Verpflegung die Pilgerer am spanischen Jakobsweg zu verwöhnen.

Gestern traf ich eine schwangere Schweizerin, die mit ihrem Mann und den bereits zwei Kindern, seit einem Jahr im Wohnmobil lebt und nun überlegt, sich zur Geburt ihres Kindes, hier auf den Kanaren niederzulassen. Geschichten dieser Art gibt es hier an jeder Ecke. Während wir zu Hause überrascht angeschaut werden, weil wir ganze drei Wochen wegfahren, laufen wir hier unter die Kategorie extremer Kurzurlauber. Ach so, nur drei Wochen! Die Insel ist schroff, die felsigen sind Berge steil. In kürzester Zeit durchfährt oder durchwandert man steil und kurvig viele Höhenmeter und Klimazonen und wird mit wirklich eindrucksvollen Ausblicken beschenkt. Das zieht viele Wanderer an. Die Strände hingegen sind klein und oft steinig. Der weiche Sand, mit dem man wunderbare Sandburgen bauen kann ist kohlrabenschwarz. Der klassische Strandurlauber kommt hier nicht her. Wir wohnen im „Valle Gran Rey“. Das „Tal des Königs“ ist ein Sammelbecken für Aussteiger, Alternativreisende, Familien, Gestrandete, Lebenskünstler, Althippies und Junghippies. Inzwischen gibt passend dazu auch zwei Bioläden und selbst in dem kleinsten Supermercado findet man hier auch Hafermilch. Wer Lust hat kann Yogakurse, Frauenkreise, Sing-und Trommelworkshops besuchen und alles natürlich auf deutsch. Die Krönung des Bubbledaseins ist aber die Bar, in der die Fußball Championsleague übertragen wird, auf deutsch! Als Milan davon hört, gibt es kein Halten mehr. Während wir singen, kuckt er Fußball, zusammen mit sieben anderen zottelhaarigen Strandfußballjungs und nem Glas frisch gepresstem Orangensaft. Das Valle Gran Rey ist klein, die Nachfrage groß und so kommt es, dass die Übernachtungspreise in die Höhe schnellen. Vielleicht erklärt sich so, die steigende Anzahl rüstiger Rentner mit Wanderstöcken. Es brummt von Menschen und Geschichten, wir befinden uns in einem Dorf und mit unserer Musik sind wir ganz schnell, mitten drin. Wenn es einem zu viel wird, läuft und klettert man bergauf. Schaut von oben, über die mächtigen Felsen ins Tal hinab. Sieht das riesige Meer, das sich am Horizont wölbt. Alle Geschichten werden klein, alle Sorgen relativ. Erst hier oben spüre ich die Insel, ihre Gewaltigkeit und gleichzeitig ihre Winzigkeit, mitten im großen Ozean.

 

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